Eine kleine Kulturgeschichte der Unhöflichkeit

Haben Sie sich auch schon einmal gefragt, wo all die guten Manieren geblieben sind? Die Zeit, in der man sich zur Begrüßung die Hand reichte und nicht das Smartphone? Sie sind nicht allein. Studien zeigen, dass sich fast die Hälfte von uns zunehmend von einem rauen, unhöflichen Ton in unserem Alltag umgeben fühlt. Von Fluchen in der Schlange an der Kasse über rücksichtslose Smartphone-Nutzung bis hin zur legendären Parkplatz-Schlacht vor dem Supermarkt – die Fundorte für Flegelhaftigkeit sind vielfältig.

Doch ist die Welt wirklich so viel unfreundlicher geworden? Und toben die schlimmsten Rudel-Kämpfe tatsächlich im Internet? Eine neue Studie wirft einen überraschenden Blick auf das, was wir für modernen Umgangsstil halten.

Höflichkeit beim Warten

Das „Wie-du-mir-so-ich-dir“-Prinzip der Unhöflichkeit

Zuerst die gute Nachricht: Nicht jeder, der uns anfährt, ist ein geborener Menschenfeind. Oft steckt schlicht ein schlechter Tag dahinter. Die wirklich interessanten Fälle jedoch folgen einem klaren Muster, dem „Prinzip der Unhöflichkeits-Reziprozität“ – oder einfacher: dem archetypischen „Wie-du-mir-so-ich-dir“.

Stellen Sie sich vor, Sie bitten höflich die Person hinter Ihnen in der Schlange, kurz Ihre vergessene Milch holen zu dürfen. Die Antwort ist ein unwirsches „Sie sind nicht der einzige, der es eilig hat.“ Der erste Impuls? Vermutlich nicht, höflich zu lächeln. Sondern innerlich (oder äußerlich) zu kontern: „Na, auch nicht gerade die fröhlichste Forelle im Teich, was?“.

Genau diesen Teufelskreis haben Forscher um Jonathan Culpeper von der Lancaster University näher untersucht. Ihr Ergebnis: Ob online oder offline, Unhöflichkeit funktioniert wie ein Bumerang – sie kommt oft zurück.

Online-Trolle vs. Parkplatz-Rambos: Wer ist unhöflicher?

Jetzt kommt das überraschende Ergebnis: Entgegen der landläufigen Meinung ist das Internet vielleicht gar nicht der unhöflicheste Ort der Welt. Zugegeben, in den Tiefen der Kommentarspalten wimmelt es von Gemeinheiten. Doch genau hier greift eine unsichtbare Hand regulierend ein: die Community. Moderatoren löschen Beiträge, andere User mischen sich ein und de-eskalieren. Die Anonymität schützt zwar den Unhöflichkeitstäter, aber die Öffentlichkeit zügelt ihn auch.

Ganz anders der klassische Streit im echten Leben, sagen die Forscher. Nehmen wir Situation im Supermarkt von oben. Hier stehen sich zwei Menschen direkt gegenüber. Eine Beleidigung wird nicht gelöscht, sie prallt ungebremst auf ihr Ziel. Und was passiert? Die berühmte „Rechnung“ wird gezogen. Man fühlt sich beleidigt und möchte diese verbale Schuld sofort zurückzahlen – am besten mit Zinsen. Ein Schneeball-System der Unfreundlichkeit beginnt zu rollen, bis jede Spur von Höflichkeit unter ihm begraben liegt.

Die Studie zeigt: Während online die Gemeinheit oft in einem großen Wut-Ausbruch explodiert und dann erstickt wird, schaukelt sie sich offline langsam, Schritt für Schritt, hoch. Jede Antwort ist ein bisschen bissiger, jede Reaktion eine Spur patziger.

Höflichkeit im Supermarkt

Also, was tun? Den Kreislauf durchbrechen!

Die ernüchternde Erkenntnis der Forschung ist: Es gibt sie, die chronisch Unhöflichen. Menschen, die laut älterer Studien „amorale Heißsporne“ sind, die keine Kritik annehmen und gerne im Rampenlicht stehen. Sie liefern die Vorlage für Reality-TV und politische Shoutings.

Doch die wichtigere und tröstlichere Erkenntnis ist: Wir sind ihnen nicht hilflos ausgeliefert. Der größte Hebel liegt bei uns selbst. Das „Wie-du-mir-so-ich-dir“-Prinzip funktioniert nämlich auch umgekehrt.

Der nächste Rempler im Gedränge? Ein freundliches „Passt schon!“ statt eines genervten Seufzers. Eine patzige Mail? Ein sachlicher, höflicher Satz als Antwort. Sie brechen den Kreislauf. Sie lassen die verbale Rechnung nicht weiterwachsen und entziehen ihr die Grundlage.

Die Welt wird vielleicht nicht über Nacht eine freundlichere werden. Aber Sie können Ihre eigene Welt ein Stück weit höflicher gestalten. Und wer weiß? Vielleicht stecken Sie ja sogar den einen oder anderen Parkplatz-Rambo mit Ihrer Gelassenheit an. Einfach mal ausprobieren – die Studie gibt Ihnen recht.

Literatur:

  • Culpeper, J., Tantucci, V. & Field, E. (2025). Unhöflichkeit im Internet. Zeitschrift für Pragmatik, 242242, 216–236.
  • Park, A., Ickes, W., & Robinson, R. L. (2014). Mehr f. %ing rudeness: Zuverlässige Persönlichkeitsvorhersagen für verbale Grobheit. Zeitschrift für Aggression, Konflikt- und Friedensforschung, 6 (1), 26–43.