Diese Frage wurde mir kürzlich gestellt – und sie enthält einen bemerkenswert ehrlichen Impuls: Denn Mut beginnt oft dort, wo wir erkennen, dass wir uns selbst noch nicht ganz entfalten. Es geht nicht darum, waghalsig oder furchtlos zu sein, sondern darum, inneren Spielraum zu schaffen – für neue Perspektiven, für klare Entscheidungen, für ein Leben, das mehr dem eigenen Wesen entspricht.

Mut im psychologischen Sinn
Mut ist nicht allein ein Persönlichkeitsmerkmal, sondern eine Fähigkeit: die Bereitschaft, Unsicherheit oder Risiko bewusst in Kauf zu nehmen – im Dienst von etwas Bedeutsamem. Dabei ist Angst kein Widerspruch, sondern oft sogar ein Hinweis auf das, was uns wichtig ist.
In der Psychologie sprechen wir von der Selbstwirksamkeitserwartung – also dem Vertrauen, eine Herausforderung bewältigen zu können. Dieses Vertrauen entsteht nicht durch Theorien, sondern durch Erfahrung: durch kleine, gelebte Schritte, auch (oder gerade) wenn sie Überwindung kosten.
Mut ist nicht die Abwesenheit von Angst, sondern die Entscheidung, dass etwas wichtiger ist als die Angst.
Ambrose Redmoon
Was hält uns zurück?
Die häufigsten inneren Barrieren sind nicht äußerlich sichtbar, aber umso wirksamer:
- Das Bedürfnis nach Sicherheit und sozialer Zugehörigkeit
- Früh erlernte Prägungen: „Fall nicht auf“, „Sei nicht zu viel“, „Mach es allen recht“
- Angst vor Ablehnung oder Bewertung
- Der innere Kritiker, der uns kleinhalten will – oft im Namen der Vorsicht
Diese Schutzmechanismen sind nicht „falsch“. Sie hatten einmal ihre Funktion. Doch sie dürfen hinterfragt werden, wenn sie uns am Wachstum hindern.
Mut im Alltag – wo er oft leise beginnt
Mut braucht kein großes Publikum. Oft zeigt er sich dort, wo niemand hinsieht:
- In einem ehrlichen „Nein“
- In der Entscheidung, Verletzlichkeit zuzulassen
- In einem Perspektivwechsel oder einem inneren Loslassen
- Im Gespräch, das lange vermieden wurde
- Im ersten Schritt auf unbekanntem Terrain
Wer sich fragt, wo mehr Mut möglich wäre, kann auf das lauschen, was sich gerade nicht selbstverständlich anfühlt: Was würde ich tun, wenn ich keine Angst hätte?
Reflexionsübung: Mut entdecken – konkret und individuell
Ziel:
Eigene Mutpotenziale erkennen und bewusster in den Alltag integrieren.
Vorgehen:
- Beobachte dich über eine Woche hinweg bewusst:
- Welche Situationen fordern dich innerlich heraus?
- Wo reagierst du automatisch – obwohl du innerlich etwas anderes möchtest?
- Welche kleinen Entscheidungen haben dich wachsen lassen?
- Schreibe jeden Tag einen „Mut-Moment“ auf:
- Auch wenn er klein war: z. B. ein offenes Wort, eine neue Sichtweise, ein bewusstes Handeln.
- Stelle dir folgende Fragen:
- Was war heute mutig an mir?
- Was wäre morgen ein kleiner, aber stimmiger nächster Schritt?
Mut und Selbstkongruenz
Mut ist nicht gleichzusetzen mit Aktionismus. Vielmehr geht es um Selbstkongruenz – also darum, das eigene Handeln in Übereinstimmung mit inneren Werten und Bedürfnissen zu bringen. Das erfordert oft innere Klarheit – und manchmal auch das Aushalten von Spannungen.
Gerade in Übergangszeiten, in denen alte Muster nicht mehr passen, neue aber noch nicht gefestigt sind, braucht es Mut: zur Unsicherheit, zum Vertrauen in den Prozess, zur Bereitschaft, das Eigene nicht vorschnell zu deckeln.
Fazit: Mut als tägliche Entscheidung
Mut ist weniger ein großes Ideal als eine innere Haltung – eine tägliche, oft stille Entscheidung für das, was wesentlich ist.
Er wächst dort, wo wir beginnen, Verantwortung für unsere Entwicklung zu übernehmen – in kleinen Schritten, mit wohlwollendem Blick auf das, was uns bewegt.
„Tu jeden Tag eine Sache, die dir Angst macht.“
Eleanor Roosevelt
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