Demokratie neu denken. Die stille Revolution.

Sie vermuten richtig: Das wird ein politischer Artikel. Und das ist verwunderlich, denn um dieses Thema mache ich üblicherweise einen großen Bogen. Ich habe überhaupt keine Lust, über Politik oder Demokratie zu schreiben, weil darüber wohl alles gesagt und geschrieben wurde, was gesagt werden muss. Viel lieber schreibe ich darüber, wie Menschen herausfinden, was sie gut können und gerne tun und damit persönlich wachsen, wertvolle Mitglieder der Gesellschaft werden und ihren Beitrag dazu leisten, unseren Planeten zu schützen. Aber wie soll man darüber schreiben, während das Fundament bereits von Wellen umspült wird und dem Gebäude der Einsturz droht?

Die Debatte darum, wer welcher Partei in Österreich bei der heuer anstehenden Nationalratswahl die Stimme geben wird, verursacht mir Bauchgrimmen und scheint eine Wahl des kleineren Übels zu werden. Denn wem wollte man noch sein Vertrauen schenken?

Das Hauptproblem der aktuellen Demokratien scheint der zunehmende Machtverlust der Bürger gegenüber der Staatsmacht zu sein. Die Menschen fühlen sich ausgeschlossen, betrogen und bestohlen. Umfragen zeigen, dass der überwiegende Teil der Öffentlichkeit in den westlichen Ländern Europas der Meinung ist, dass politische Parteien korrupt sind. Und damit haben wir ein schwerwiegendes Problem, denn es stellt sich zudem die Frage, wie viel Macht unsere Regierungen eigentlich noch haben.

Aber was soll man tun? Gar nicht mehr wählen gehen? Das Ansinnen ist durchaus verständlich und weshalb sollte man nicht auch das Recht haben politisch zu streiken? Das Problem lässt sich mit dieser Verweigerungshaltung allerdings nicht lösen.

Fragen und Zuhören – aber richtig

Es ist an der Zeit, neue Wege zu finden, die Stimme des Volkes zu hören. Im Moment gibt es dafür vor allem Wahlen, Volksabstimmungen und Meinungsumfragen. Aber dort werden keineswegs die richtigen Fragen gestellt. Was nützt es, wenn man sich bei der Wahl eines Kandidaten zwischen Teufel und Beelzebub entscheiden oder bei einer Umfrage nur mit „Ja“ oder „Nein“ stimmen kann?

Stellen Sie sich vor, es ist sechs Uhr abends, eine Mutter bereitet gerade das Abendessen für die Familie zu, die Kinder rufen nach Hilfe bei den Hausaufgaben, quengeln, weil sie lieber noch draußen spielen würden, der Vater ist geschafft von einem stressigen Arbeitstag und in diesem Moment klingelt das Telefon. Das Meinungsforschungsinstitut möchte, dass man sich unvorbereitet zu einem Thema äußert, von dem man meist ohnehin nicht viel weiß. „Was denken Sie über die Neuerungen in der Asylpolitik?“ „Äh, … keine Ahnung. Ich bin dagegen.“ Auf diese Weise werden tausende Personen befragt und die Ergebnisse fließen in die politischen Entscheidungen mit ein.

Viel interessanter, als zu wissen, was Menschen denken, wenn sie nicht denken, wäre, was sie zu sagen haben, wenn sie die Gelegenheit haben, sich mit dem Thema zu befassen. Das Instrument dafür könnte die Deliberative Demokratie sein. Bei diesem Verfahren werden Bürger zu einem Treffen mit Fachleuten eingeladen, um sich umfassend zu informieren, auszutauschen und zu diskutieren. Danach (und manchmal zum Vergleich auch davor) werden sie nach ihrer Meinung gefragt. Und diese Antworten sind wesentlich differenzierter und wohlüberlegt.

Gibt es das schon irgendwo? Ja, beispielsweise im Erdölstaat Texas, mit erstaunlichem Ausgang. Bei einer Fachtagung mit ausgelosten Bürgern wurde die Frage gestellt: „Würden Sie eine leicht erhöhte Stromrechnung in Kauf nehmen, damit erneuerbare Energien ausgebaut werden können?“ Wie zu erwarten, hatten wenige Leute Lust dazu. Während der Tagung, bei der es zahlreiche Informationen zu umweltfreundlichen Energien, Klimawandel, Umweltzerstörung, etc. gab, stieg die Zahl derer, die bereit waren etwas mehr zu zahlen, ständig. Heute ist Texas der amerikanische Bundesstaat mit den meisten Windrädern. Wie wäre die Entscheidung wohl gefallen, wäre diese Frage allein von den gewählten Politikern besprochen worden, die natürlich die Interessen der Erdölindustrie miteinbezogen hätten?

Wie könnte ein Ausblick in die Zukunft aussehen? Im Westen kennen wir die Demokratie schon seit 3000 Jahren, Wahlen hingegen erst seit 200 Jahren. Es gibt zahlreiche demokratische Traditionen, die schon vor den Wahlen bestanden. Vielleicht ist deren Zeit nun vorbei. Der Informationsfluss ist in rasantem Tempo gestiegen, ebenso wie die Zugänglichkeit. Damit ist zum ersten Mal in der Geschichte die Möglichkeit gegeben, die Bevölkerung auf ganz andere Weise zu Wort kommen zu lassen.

Repräsentativ durch das Zufallsprinzip

Eine Möglichkeit ist das Losverfahren, wie es von Schöffengerichten bekannt ist. Es garantiert uneingeschränkt die Norm der Gleichheit aller Teilnehmer. Alle Bürger, ob arm oder reich, weiblich oder männlich, jung oder alt, gesund oder krank, Unternehmer, Beamter oder Arbeiter hätten in der Demokratie die gleiche Chance, durch das Los gezogen zu werden. Kein Teilnehmer könne über eigenes ökonomisches, soziales oder kulturelles Kapital seine Chancen erhöhen, sich Vorteile gegenüber anderen verschaffen und den Ausgang beeinflussen. Natürlich ist das System nicht perfekt, aber die Schöffen nehmen im Allgemeinen ihre Aufgabe sehr ernst und machen sich kundig, ehe sie eine Entscheidung treffen, die sowohl der Justiz als auch der Gesellschaft gerecht wird. Kombiniert man das Losverfahren mit der Deliberativen Demokratie, kommen wesentlich bessere Entscheidungen zustande, als unsere gewählten Parteien sie zu treffen imstande sind.

Ein Beispiel: In Irland wurde 2014 ein Verfassungskonvent veranstaltet. Ein Gelegenheitsparlament, bestehend aus 33 irischen Abgeordneten und 66 ausgelosten Durchschnittsbürgern sowie einem Vorsitzenden beriet sich 14 Monate lang über acht Artikel der irischen Verfassung. Die Diskussionen wurden im Internet übertragen und die Bevölkerung war aufgerufen, sich zu beteiligen und ihre Beiträge zu schicken. Eines der überraschenden Ergebnisse: Im erzkatholischen Irland wurde offiziell empfohlen, den Verfassungsartikel zu ändern, um eine gleichgeschlechtliche Ehe zu legalisieren.

Die isländische Revolution von 2008 war eine beispiellose Bewegung, die aus der globalen Finanzkrise heraus entstand und eine einzigartige Kombination aus Bürgerprotesten, politischem Wandel und dem Einsatz neuer Technologien zur politischen Partizipation darstellte.

Eine der innovativsten Maßnahmen, die während dieser Zeit ergriffen wurden, war die Entscheidung, eine neue Verfassung zu erstellen – eine, die nicht von Politikern oder Experten, sondern von den Bürgern selbst entwickelt wurde. Um dies zu erreichen, nutzte Island Crowdsourcing-Techniken, um Ideen und Vorschläge von Tausenden von Bürgern zu sammeln. Durch Online-Plattformen und öffentliche Versammlungen hatten die Isländer die Möglichkeit, direkt an der Gestaltung ihrer Verfassung teilzunehmen.

Doch wo soll man anfangen? Müssten Maßnahmen wie die Einführung eines Losverfahrens oder einer Deliberativen Demokratie nicht von der politischen Führung selbst in Gang gesetzt werden? Ist die Regierung überhaupt daran interessiert, dass das System sich ändert? Und falls ja, wäre sie in der Lage, das zu tun, entgegen der Interessen von Wirtschaft und Finanz, im Würgegriff der kommerziellen und sozialen Medien?

Dabei wäre Demokratie doch ganz simpel: Bürger setzen sich zusammen, fragen sich, was es für ein gutes Leben braucht und treffen gemeinsam Entscheidungen für die Zukunft der Gesellschaft.

Mündig werden. Sein Schicksal in die Hand nehmen.

Mit zunehmender Kluft zwischen arm und reich wird es mehr und mehr Bürger geben, die „Nein“ sagen, etwa dadurch, dass sie bewusst nicht mehr wählen. Gleichzeitig gibt es jedoch auch Gruppen, die beginnen, sich selbst zu organisieren, um für demokratische Rechte zu sensibilisieren, neue Regeln für die Gemeinschaft ausarbeiten und anstatt sauer zu sein und zu kritisieren, selbst den Wandel herbeiführen, den sie sich wünschen. Man denke etwa an die verfassungsgebenden Werkstätten oder die kunterbunten Graswurzelbewegungen. Was wir brauchen ist eine Koalition von Menschen guten Willens, sowohl in der Bevölkerung, als auch in der Politik und der Wirtschaft.

Und damit erreichen Gemeinden und Städte einen ganz neuen Stellenwert in der Demokratie als treibende Kräfte. Demokratien haben sich immer schon vom Lokalen zum Globalen entwickelt und dies könnte eine Zeit der Renaissance sein. In Athen hätte wohl kaum jemand geglaubt, dass es eines Tages Demokratien mit einer Milliarde Menschen wie in Indien geben würde.

In Kuttambakkam, einem kleinen Dorf im Bundesstaat Tamil Nadu in Südindien, wurde die bemerkenswerte Geschichte eines selbstverwalteten Dorfes geschrieben. Diese Geschichte zeigt, wie die Bewohner eines Dorfes sich zusammenschließen können, um ihre Gemeinschaft selbst zu regieren, ohne auf externe politische Strukturen angewiesen zu sein.

Die Bewohner von Kuttambakkam wurden lange Zeit von landwirtschaftlichen Problemen, Armut, Müll, Analphabethentum und mangelnder Infrastruktur geplagt. In den späten 1990er Jahren beschlossen sie jedoch, sich dieser Herausforderungen gemeinsam zu stellen und eine neue Form der Selbstverwaltung zu schaffen.

Die Dorfbewohner organisierten sich in Selbsthilfegruppen und begannen, lokale Ressourcen zu nutzen, um die Lebensbedingungen im Dorf zu verbessern. Sie bauten Straßen, Schulen und Brunnen, starteten Programme zur Förderung der Landwirtschaft und verbesserten die Gesundheitsversorgung. Diese Bemühungen waren weitgehend von den Dorfbewohnern selbst finanziert und durchgeführt, wobei sie auf traditionelle Wissenssysteme und kollektive Entscheidungsfindung zurückgriffen.

Ein entscheidender Moment in der Geschichte von Kuttambakkam war die Einführung des Konzepts der Gram Sabhas, lokaler Versammlungen, in denen alle Dorfbewohner zusammenkommen, um über Angelegenheiten zu diskutieren, die ihr Dorf betreffen, und um gemeinsam Entscheidungen zu treffen. Diese Gram Sabhas wurden zu einem wichtigen Forum für die demokratische Teilhabe der Dorfbewohner und ermöglichten es ihnen, ihre Stimme in lokalen Angelegenheiten zu erheben und ihre eigenen Prioritäten zu setzen.

Durch ihre kollektiven Anstrengungen und ihre Beteiligung an der Selbstverwaltung konnten die Bewohner von Kuttambakkam eine nachhaltige Entwicklung in ihrem Dorf fördern und eine starke Gemeinschaft aufbauen, die auf Solidarität und gegenseitiger Unterstützung basiert. Ihre Geschichte zeigt, wie die Ideale der Selbstverwaltung und der lokalen Demokratie verwirklicht werden können, wenn die Bürger sich aktiv für ihre Gemeinschaft einsetzen und gemeinsam an Lösungen arbeiten.

Texas. Irland. Island. Indien. Sie haben natürlich recht. Das ist alles so weit weg. Deshalb zuletzt noch ein Beispiel aus unmittelbarer Nähe, nämlich die umtriebige Stadt Lindau, in der ich letzte Woche bei einer Projektschmiede mitdenken durfte. Seit 2018 sind dort etliche Projekte der Bürgerbeteiligung entstanden, die hier dokumentiert sind:

https://beteiligung.stadtlindau.de

Die stille Revolution

Vielleicht ist das, was gerade auf der ganzen Welt passiert, eine stille Revolution. Millionen von Menschen warten nicht mehr auf eine Genehmigung von oben, sondern krempeln die Ärmel hoch und machen sich an die Arbeit. Gemeinschaftsgärten entstehen, alternative Energiesysteme werden im Selbstbau erstellt, das Schulsystem reformiert, Komplementärwährungen eingeführt, es wird repariert, recycelt, selber gemacht.

Das Problem ist nicht, dass wir die Lösungen für die Probleme im Kleinen und Großen nicht kennen würden. Die Schwierigkeit ist, die Bevölkerung in größerem Umfang zu inspieren und motivieren, aktiv zu werden und die Sache in Angriff zu nehmen. Und das bedeutet auch, dass wir wieder lernen müssen zusammen zu arbeiten. Es gibt viele Gruppen von Aktivisten, die sich irgendwann zerstritten haben. Das ermüdet und bringt uns nicht dahin, wo wir hinwollen. Der Wandel erfordert gemeinsame Visionen, Mut etwas zu riskieren, Neues auszuprobieren, einander zu unterstützen, kreativ zu sein, eine lebenswerte Zukunft zu erträumen und miteinander zu feiern. Dragon Dreaming ist (mehr als) eine Methodensammlung, die diese Kompetenzen pflegt und würdigt und dabei lebendige, beflügelnde Projekte entstehen lässt.

Für oder gegen?

Es gibt zwei Arten, seiner Politikverdrossenheit Luft zu machen. Man kann viel Zeit und Energie einsetzen, um zu kritisieren und Kampagnen zu organisieren, die vielleicht irgendwann mehr oder weniger dazu führen, dass die richtigen Maßnahmen ergriffen werden.

Oder man könnte sagen, wie Rob Hopkins es ausdrückt: „Macht doch einfach was ihr wollt. Aber seid euch darüber im Klaren, dass es überall auf der Welt Leute gibt, die anfangen so zu leben, wie es für ein gutes Leben für alle notwendig ist. Und während sie das tun, knüpfen sie Freundschaften, haben Spass, gründen Unternehmen, essen gut, trinken selbstgebrautes Bier, zahlen für ihren Strom weniger und fühlen sich als Teil einer historischen Bewegung. Ihr könnt euch dafür einsetzen diesen Prozess zu unterstützen, aber macht einfach was ihr wollt, denn es passiert mit oder ohne euch. Es ist eine stille Revolution. Und wenn euer Herz es befiehlt: Dann macht doch einfach mit.“

(Dieser Artikel ist übrigens inspiriert von einem Kinobesuch am Spielboden entstanden. Schon der Auftakt zum Film war bemerkenswert, denn die beiden Mitorganisatoren haben ganz unterschiedliche Ansätze, die Welt zu verändern: die einen protestierend, die anderen unterstützend. Grund genug einander in die Haare zu geraten. Aber statt dessen gab es eine wertschätzende Vorstellung der beiden Ansätze. Sowohl der Film wie auch das Buch zum Film sind in der Vorarlberger Landesbibliothek entlehnbar.)

Literatur

Eselbegegnungen: Friede sei mit Dir

Der Esel ist in vielen Kulturen als Sinnbild für Frieden bekannt. Seine friedfertige und bescheidene Natur macht ihn zu einem treffenden Repräsentanten für Harmonie und Ausgeglichenheit.

In der christlichen Tradition gilt der Esel als Symboltier für Demut und Sanftmut. Einer der spektakulärsten Ritte der letzten zwei Jahrtausende war wohl der Einzug von Jesus nach Jerusalem. Der gerechte, demütige Friedensfürst reitet nicht etwa säbelrasselnd auf einem mächtigen, waffenstrotzenden Streitross ein, sondern ganz unkonventionell und konsequent wählt er eine sanfte Eselin und ihr Fohlen. Diese Wahl symbolisiert nicht nur Bescheidenheit, sondern auch den Wunsch nach einem friedlichen Miteinander und archetypisch weiblicher Kraft.

The fresco of the Entry of Jesus in Jerusalem (Palm Sundy) in Duomo by Lattanzio Gambara (1567 – 1573)

Milde, Mitgefühl, Nächstenliebe, Friedfertigkeit sind die revolutionären Botschaften des neuen Königs. Passend zu diesen scheinbar schwachen Verhaltensformen steht ein Tier, das für seine enorme Belastbarkeit bekannt ist und den Weg der Gewaltlosigkeit wählt (indem es sich widerstandslos prügeln lässt und nicht Gewalt mit Gewalt beantwortet).

Die friedliche Natur des Esels zeigt sich in seinem gemächlichen Gang und seiner Gelassenheit. Anders als andere Tiere, die oft als kriegerisch oder streitlustig betrachtet werden, verkörpert der Esel Ruhe und Toleranz.

Darüber hinaus wird der Esel als Symbol für die Verbindung zwischen Mensch und Natur angesehen. Seine enge Bindung zu seinem Umfeld und seine Fähigkeit, auch in schwierigem, kargem Gelände genügsam zu überleben, machen ihn zu einem Vorbild für ein harmonisches Zusammenspiel von Mensch und Natur.

In der heutigen Zeit, in der Konflikte und Spannungen weltweit an der Tagesordnung sind, erinnert uns das Symbol des Esels daran, dass Frieden nicht nur das Fehlen von Krieg bedeutet, sondern auch eine innere Haltung des Respekts, der Toleranz und des Mitgefühls erfordert. Der Esel ermutigt uns, uns mit unserer eigenen friedvollen Natur zu verbinden und nach einem harmonischen Miteinander zu streben.

Eselbegegnungen können uns daran erinnern, dass wir alle Teil eines größeren Ganzen sind und wir durch unser gemeinsames Handeln und Verständnis eine friedlichere Welt schaffen können. Die sanfte Natur des Esels inspiriert, den Weg des Friedens zu gehen und uns gegenseitig mit Freundlichkeit zu begegnen.

„Wie oben, so unten, wie innen, so außen“ lautet das Prinzip der Analogie aus dem Kybalion, der Lehre der sieben hermetischen Gesetze. Das Gesetz besagt, dass alles, was einem Menschen im Außen begegnet, eine Reaktion auf das ist, was in seinem Inneren ist.

Der Weg von inneren Konflikten und Unfrieden führt geradewegs zu Aggression und Gewalt. Indem wir unseren inneren Frieden fördern, tragen wir dazu bei, dass weniger Gewalt in der Welt stattfindet. Friedliche Menschen neigen dazu, gewaltfreie Konfliktlösungen zu bevorzugen und setzen sich für eine friedliche Gesellschaft ein.

Eselbegegnungen lehren uns, dass Gewalt oder Kontrollmechanismen nicht notwendig sind, um eine Beziehung aufzubauen oder ein Ziel zu erreichen. Stattdessen lassen sie erspüren, dass Geduld, Vertrauen und Respekt effektive Mittel sind, um eine harmonische Verbindung zu den Eseln herzustellen. Dadurch kann die Angst vor Kontrollverlust reduziert werden, da man erkennt, dass friedliche und respektvolle Methoden erfolgreicher sind.

Innerer Frieden ist eine grundlegende Voraussetzung, um dauerhaften äußeren Frieden in der Welt zu erreichen. Menschen, die inneren Frieden gefunden haben, können zu einer positiven Veränderung in der Gesellschaft beitragen und eine Welt mit weniger Konflikten und mehr Harmonie fördern.

Eselbegegnungen

In der Begegnung mit den Eseln treffen wir auf inneren Frieden. Esel lassen sich nicht beeindrucken von der Rastlosigkeit und Getriebenheit, viel schnell erreichen zu müssen, der unbedingten Vorstellung, die Kontrolle behalten zu müssen, jederzeit auf Knopfdruck zu funktionieren und der Annahme, die Weisheit mit dem Löffel gefressen zu haben.

Stattdessen orientieren sie sich daran: Was macht Sinn? Was ist Unsinn? Muss alles ständig verfügbar sein?

Die Angst vor Kontrollverlust ist eine tief verwurzelte emotionale Reaktion, die in vielen Menschen vorhanden ist. Es ist normal, dass Menschen danach streben, ihre Umgebung zu kontrollieren, um sich sicher zu fühlen. Dennoch kann eine übermäßige Angst vor Kontrollverlust zu Stress, Angstzuständen und anderen psychischen Belastungen führen.

Um mit dieser Angst umzugehen, können verschiedene Strategien helfen, wie Achtsamkeitspraktiken, Selbstreflexion, das Entwickeln von Vertrauen in sich selbst und andere und das Akzeptieren von Veränderung als Teil des Lebens. Es ist wichtig zu erkennen, dass Kontrollverlust nicht immer negativ sein muss und dass es manchmal notwendig ist, Dinge loszulassen und Veränderungen anzunehmen, um inneren Frieden zu finden.

Doch zurück zu den Eseln. Wie sieht denn so eine Eselbegegnung aus, bei der man inneren Frieden gewinnen kann? Wir müssen wohl etwas tun mit ihnen, vielleicht ein Halfter anlegen und sie an den Strick nehmen, ihnen erklären, was zu tun ist und wohin der Weg geht. Da ist Kontrolle gegeben, da erklären wir dem vermeintlich sturen Esel den Tarif, wir gewinnen die Oberhand, wir siegen. Aber kommen da vielleicht auch Bedenken auf? Ist das der richtige Weg? Ist das das richtige Ziel?

Könnte es sein, dass wir vor lauter Vorsicht etwas verstecken und zu verbergen versuchen, das besser nicht an die Oberfläche kommen soll, weil es uns bei einer Begegnung auf Augenhöhe verletzbar machen könnte?

Esel lieben den Frieden. Sie suchen ihn und wenn sie ihn in uns finden, schenken Sie ein Vielfaches davon zurück, potenziert wie eine katalytische Reaktion im Reagenzglas der Emotionen. Während jahrhundertelanger Versklavung haben sie ihre Strategie der Gewaltlosigkeit bewahrt. Ihr Lebenselixier ist die Geborgenheit und der Schutz in der Herde.

Auch wir fürchten ums nackte Sein, egal ob real bedroht oder nicht. Doch die alten reaktiven Muster und scheinbaren Wirklichkeiten führen nur immer noch tiefer in die Abgründe des Krieges und der Gewalt. Die Transformation beginnt leise, sobald wir anfangen, achtsam wahrzunehmen und hinzuschauen, ob das, was uns erschreckt, vielleicht nur Gespenster sind, die uns in Flucht oder Angriff treiben. Wenn wir Zweifel aushalten und innehalten, bis wir unsere ursprüngliche Urteilskraft wiederentdecken, kann sich der Geist beruhigen.

Wenn wir mit den Eseln diesen besonderen Raum teilen, verbunden durch intuitives Wissen, geht es um nichts anderes als innezuhalten und wahrzunehmen. So können beide Seiten abwägen, was sicher und was friedlich ist und einander in einer liebe- und friedvollen Situation begegnen, miteinander eine Umgebung des Friedens schaffen.

Der Friede in mir sei mit dir!

Lesenswertes/Sehenswertes:

Person, Jutta: Esel. Ein Portrait. Naturkunden Nr. 5. Matthes und Seitz. Hamburg, 2013.

James French kreierte die wundervolle „Vertrauenstechnik“, um mit Tieren (und letztlich auch dem Menschen), auf Basis von absoluter Freiheit das Vertrauen herzustellen, das es braucht, um gemeinsam zu liebevoller, friedlicher Koexistenz und wechselseitigem Erblühen zu gelangen.

Sind wir ausgeglichen und in einem wachen und entspannten inneren Zustand, sind wir offen Neues zu lernen – alter Schmerz, auch traumatischer, kann in diesem Zustand heilen – bei Tieren wie Menschen.

https://trust-technique.com/messages-of-trust-yt/

Repair Café – Anstiftung zum Selbermachen

Die Schweiz ist neben Luxemburg unrühmlicher Weltmeister beim Kleider-Shopping. Etwa 20 kg Textilien werden pro Person jedes Jahr gekauft. Kaum zu fassen: Die Hälfte davon landet ungetragen im Altkleidersack.

Wo landet der zweifelhafte Segen? Beispielsweise in Ghanas Hauptstadt Accra wo jeden Tag 160 Tonnen Kleider aus westeuropäischen Kleidersäcken ankommen! Abnehmer gibt es kaum dafür, weshalb sie auf Mülldeponien landen, wo sie verrotten oder verbrannt werden.

Es ist natürlich lobenswert, dass die EU dafür sorgen will, dass Textilien nach qualitativ höheren Standards hergestellt werden und die Umwelt weniger belasten. So soll eine «Strategie für nachhaltige und kreislauffähige Textilien» bis 2030 eine Kreislaufwirtschaft für alle Textilien im EU-Raum ermöglichen.

Doch was kann jeder einzelne von uns jetzt sofort und mit unmittelbaren Auswirkungen tun? Zahlreiche Ideen dazu finden Sie in diesem Beitrag:

Neben all den Ideen, die jeder für sich persönlich umsetzen kann, gibt es eine, die mir besonders am Herzen liegt und die mein kleiner Beitrag dazu sein wird, dass es ein „gutes neues Jahr 2024“ wird: Ein Repair Café mit Textilwerkstatt.

Repair Cafés sind ehrenamtliche Treffen, bei denen Hilfe zur Selbsthilfe angeboten wird. In geselliger Runde bei Kaffee und Kuchen wird liebgewonnenen Textilien wieder Leben eingehaucht. Fachwissen wird untereinander ausgetauscht. Werkzeuge und Reparaturmaterial teils bereitgestellt, teils mitgebracht. Manchmal sind es nur kleine Dinge, die in Ordnung gebracht werden müssen: ein ausgeleierter Knopf, ein Riss in der Jacke, ein Aufhänger, der abgegangen ist, eine Naht, die sich auflöst, ein Loch in der Socke.

Wer gerade nichts zu reparieren hat, kann auch in der Textilwerkstatt kreativ werden und an einfachen Projekten seine handwerklichen Fähigkeiten erweitern: beim Gestalten von Einkaufstaschen aus Stoffresten oder Textilien, die sich nicht mehr reparieren lassen, beim Besticken von textilen Grußkarten, beim Schnippeln von T-Shirtgarn, beim Stricken von herrlich warmen Pullis aus aufgetrenntem Strickwerk und Wollresten, beim Slow Stiching oder Patchworken, beim Herstellen eines Reparaturkits für zu Hause.

Neben den offensichtlichen Vorteilen eines Repair Cafés wie Müllvermeidung und Umweltschutz gibt es weitere lohnenswerte Folgeaspekte:

So kann das gelungene Reparieren ein Gefühl der Selbstwirksamkeit und Zufriedenheit vermitteln. Es ermutigt zur Übernahme von Eigenverantwortung und fördert eine Kultur des „Selbstmachens“ statt des reinen Konsums. Handwerkliche Fähigkeiten können verbessert, neue Techniken erlernt und altes Wissen wieder ausgegraben werden. Gemeinschaftliches Handarbeiten verbindet Generationen, Kulturen und Menschen mit unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten. Dadurch werden soziale Verbindungen gestärkt, Netzwerke aufgebaut und die Integration gefördert. Eine lokale Identität entsteht.

Nicht zu unterschätzen ist das kreative Element, denn Reparieren, insbesondere „Visible Mending“, Flickwerk, das gesehen werden will, lässt gestalterisch tätig werden und ermuntert, sich künstlerisch ausdrücken. Durch Upcycling können alte oder kaputte Kleidungsstücke in neue einzigartige verwandelt werden. Die Einbindung von lokalen Handwerkern und Künstlern bietet diesen eine Plattform für die Präsentation ihrer Fähigkeiten.

Die Fähigkeit, Kleidung zu reparieren, stärkt das Bewusstsein für die Möglichkeit der Selbstversorgung und Unabhängigkeit und eine Abkehr von der Wegwerfmentalität.

Ressourcen wie Energie, Wasser und Rohstoffe werden gespart, die bei der Herstellung neuer Produkte benötigt würden. Die wachsende Nachfrage nach Reparaturmöglichkeiten kann Unternehmen dazu anregen, langlebigere und reparaturfreundlichere Produkte herzustellen.

Sie sehen schon, ein Repair Café ist ein Gewinn auf allen Ebenen und verspricht zudem eine ganze Menge Spass. Die Welt zu verändern, muss kein Protestmarsch sein. Es kann sich auch wie eine Party anfühlen.

Ob diese Idee ein kleines Nachbarschaftsprojekt wird oder der Beginn einer Vielzahl von Orten des Wandels, an denen mit Mut und Fantasie an einer Zukunft gearbeitet wird, die für uns alle lebenswert ist, liegt in unser aller Händen. Hände, die Lust haben, ihrem Lieblingspulli eine zweite Chance zu geben, hilfreiche Hände, die wissen, wie man beim Sockenstopfen eine Nadel führt, Hände, die gerne Kuchen backen oder Kaffee einschenken, Hände, die gerne fotografieren, um anderen zu zeigen, was man Tolles machen kann, Hände, die dokumentieren, welche spannenden Erkenntnisse man gemeinsam gewonnen hat oder wie viele Kleidungsstücke gerettet werden konnten. Jeder hat besondere Talente, mit denen er sich einbringen kann, um kreativ und positiv einander nicht nur ein gutes neues Jahr zu wünschen, sondern es auch zu verwirklichen.

Aktuell flicken wir von Hand, was den Vorteil hat, dass jeder die neu erworbenen Fähigkeiten auch zu Hause umsetzen kann. Über kurz oder lang würden wir jedoch gerne das Repertoire erweitern auf das Arbeiten mit der Nähmaschine.

Sollten Sie eine ungenutzte Nähmaschine Ihr Eigen nennen, würden wir uns über eine Sachspende freuen und sie zur Freude vieler aus dem Dornröschenschlaf erwecken.

Die nächsten Termine:

Gerne würde ich Ihnen bei klappernden Nadeln und einer Tasse Tee mehr darüber erzählen.

  • 10.05.2024
  • 07.06.2024
  • 05.07.2024

Um Anmeldung bis spätestens drei Tage vor den Terminen wird gebeten, einerseits um den Tisch zu reservieren und andererseits um eventuell notwendiges Material und Werkzeug parat zu haben:

office@praxis-am-see.at

Inspiration:

Auf diesem Telegram Kanal finden Sie Ideen für die Kunst des sanften, textilen Protests: Slow Fashion, DIY, Ideen für Repair Cafés, Zero Waste, Upcycling, Refashion. (Ich wünschte, es gäbe brauchbare deutsche Worte für diese Begriffe…)

Übung:

Zuletzt noch eine kleine Übung, um bewusst mit seiner Garderobe umzugehen. Hängen Sie dazu am besten ein Blatt Papier in Ihren Kleiderschrank.

Schreiben Sie ein Jahr lang auf, was in Ihren Schrank hineinwandert: 
Hose - neu gekauft, mit/ohne Gütesiegel
Jacke - im Second Hand Laden erstanden
Socken - selber gestrickt, Wolle handgesponnen, pflanzengefärbt, mulesingfree
Mantel - von der Freundin bekommen, der er nicht mehr passt

Notieren Sie ebenso, was Ihren Schrank wieder verlässt:
T-Shirt - ausgeleiert, zu T-Shirt Garn verarbeitet und Topflappen draus gestrickt
Seidentuch - scheußliche Farbe, in den Second Hand Laden gebracht
Pulli - aufgetrennt und mit anderen Wollresten neu verstrickt
Bettwäsche - aus dem Stoff im Repair Café neue Tunika genäht, Rest in Streifen gerissen und bunten Teppich daraus gewebt

Ziehen Sie am Jahresende Bilanz, wie zufrieden Sie sein können, mit Ihrem Umgang mit Textilien.

Literatur:

Wegwerfware Kleidung: Repräsentative Greenpeace-Umfrage zu Kaufverhalten,
Tragedauer und der Entsorgung von Mode
. Abrufdatum 8.1.24. https://www.greenpeace.de/sites/default/files/publications/20151123_greenpeace_modekonsum_flyer.pdf

43 Fakten über Fast Fashion: Abrufdatum 8.1.24. https://endlichfair.de/news/fast-fashion/

Handarbeit – Tradition, Inspiration oder Revolution?

Spinnen, Weben und Sticken gehörten bis zum Ende des 18. Jahrhunderts zu den häuslichen Aufgaben und waren keine ausschließlich weiblichen Tätigkeiten bis zum Verfall des Kunsthandwerks durch die Industrialisierung und Massenproduktion. Im 19. Jahrhundert erfuhr die Handarbeit einen Aufschwung. Das Bild einer handarbeitenden Frau wurde zur Metapher für all die Tugenden einer idealen Ehe- und Hausfrau wie stetiger Fleiß und Fügsamkeit. Handarbeit galt lange Zeit als konservativ und keineswegs als Aktivismus.

Das hat sich bis heute wieder gewandelt. Unter dem Begriff DIY (Do-it-yourself) wird traditionelle Handarbeit zum Trend. Selbermachen steht für soziale Verantwortlichkeit und ökologische Nachhaltigkeit, gepaart mit Kreativität und Individualität. Unternehmen wie Etsy oder Pinterest basieren auf dieser Marketingstrategie. Im Sinne von „früher war alles besser“ trägt DIY durchaus immer noch konservative Züge. Etwa, wenn ausgediente Kleidung kunstvoll geflickt und so durch Upcycling rohstoffsparend zu peppiger Mode wird.

Warum macht man heute wieder Dinge selber und welche Bedeutung schreibt man diesem Tun zu? Wie es scheint, sind vor allem kommunikative und soziale Funktionen im Vordergrund: sich mit Gleichgesinnten zu treffen und Wissen und Erfahrungen austauschen. Aber auch therapeutische Effekte, wie Selbstfürsorge, sind zu finden. Kreatives Selbermachen dient als Gegenpol zu inhaltlich und zeitlich fremdbestimmter Erwerbsarbeit.

Parallel zur DIY-Welle werden Handarbeiten auch von Aktivisten genutzt, zum Beispiel in Form von Guerilla Knitting oder Yarn Bombing. Parkbänke, Bäume, Skulpturen werden eingestrickt und dienen als schrilles und doch friedliches Zeichen von Unmut gegen Politik und Kapitalismus. Und doch – vielleicht sind gerade die, die traditionelle Handarbeit betreiben, die Revolutionäre, einfach durch ihr Tun an sich.

Ihr unzeitgemäßes, unwirtschaftliches, trotziges Dennoch-Produzieren hat durchaus etwas Subversives, es unterläuft, wenigstens ein Stück weit, die dominierenden kapitalistischen Strukturen und – indem es ohne Öffentlichkeit auskommt – auch jene der Aufmerksamkeitsgesellschaft.

Nikola Langreiter

Haben Sie sich jemals gefragt, wie ein einfacher Stoffflicken in der Lage ist, mehr als nur Löcher zu reparieren?

Flicken ist unumgänglich, wenn man gerne Kleidung trägt, die fast so alt ist, wie man selbst. In Japan sieht man das jedoch nicht als notwendiges Übel, sondern als Kunstform.

Vielleicht haben Sie schon einmal von Kintsugi (金継ぎ) gehört, einer traditionellen japanischen Kunst, bei der zerbrochene Keramik mit Lack gemischt mit pulverisiertem Gold, Silber oder Platin repariert wird. Der Begriff „Kintsugi“ kann als „goldene Verbindung“ oder „goldene Reparatur“ übersetzt werden. Diese Technik verbirgt nicht die Risse und Unvollkommenheiten des Porzellans, sondern betont und feiert sie und verwandelt das zerbrochene Stück in ein einzigartiges Kunstwerk.

Kintsugi ist nicht nur eine Kunstform, sondern trägt auch eine symbolische Botschaft, die Fehler und den Lauf der Zeit zu akzeptieren. Es hat nicht nur in Japan, sondern auch weltweit an Popularität gewonnen und dient als Metapher für Widerstandsfähigkeit und die Entdeckung von Schönheit in Unvollkommenheiten, sowohl in Objekten als auch im Leben selbst.

Boro ist das textile Äquivalent von Kintsugi. Hier, im Gegensatz zum unsichtbaren Ausbessern, wird kunstvolles Flicken zum Hingucker. Indem man sich die Zeit nimmt, etwas Einzigartiges zu schaffen, verbindet man sich mit einem Kleidungsstück und seinen Fehlern und verleiht mit zauberhaften Nähten dem fertigen Stück noch mehr Charme.

Beim Slow Stiching geht es nicht nur darum, Kleidung oder Textilien zu erhalten, und so einen Gegenpol zur Fast Fashion zu bieten, sondern auch, eine Verbindung zu Gedanken und Emotionen herzustellen. Durch das bewusste Setzen von Stichen, die Wahl von Mustern und Farben und das Spielen mit verschiedenen Materialien kann man einen Raum der Selbstreflexion und Entspannung entdecken. Nadel und den Faden werden zu Werkzeugen der Selbstfindung und Entspannung, der kreativen Erfüllung, der Entschleunigung und inneren Ruhe.

Das Nähen ist eine Möglichkeit, unsere Existenz auf Stoff zu markieren: unseren Platz in der Welt zu gestalten, unsere Identität auszudrücken, etwas von uns selbst mit anderen zu teilen und den unvergänglichen Beweis unserer Anwesenheit in Stichen zu hinterlassen, die fest von unserer Berührung gehalten werden.

Clare Hunter, Gründerin von Sewing Matters

Damit liegen auch die gesundheitlichen Vorteile auf der Hand: Stressbewältigung, das Verarbeiten von traumatischen Erfahrungen durch Konzentration und aufbauende Gedankenmuster, Selbstreflexion und Achtsamkeit, Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl, das Pflegen von Gemeinschaft und Beziehungen, verbale und nonverbale Kommunikation (die Sticken insbesondere für interkulturelle Gruppen wertvoll macht).

Für mich verkörpert Stickerei das Sprichwort "Die Tage sind lang und die Jahre sind kurz". Es ist ein physischer Prozess, der die Kräfte der Natur und die Spuren, die Menschen auf dieser Welt hinterlassen, nachahmt, in dem Sinne, dass es eine Weile dauern wird, um Ergebnisse zu sehen. In einer Zeit, in der wir als Gesellschaft an sofortige Befriedigung gewöhnt sind, finde ich Freude darin, wie Nadel und Faden die Oberfläche des Stoffs langsam durchbrechen und verändern, allmählich eine neue Erzählung aufbauen oder als Erinnerung an eine alte dienen.

Hannah Claire Sommerville

Slow Stitching ist für jedermann geeignet, der die heilende, entspannende und wohltuende Wirkung von kreativer Selbstentfaltung erfahren möchte. Aber Sticken kann noch viel weiter gehen:

Hier beim Craftivist Collective konzentrieren wir uns auf Kampagnen und Aktivismus, bei denen wir die Ursachen von Armut und Leid infrage stellen und herausfordern und langfristige Lösungen für diese Probleme suchen. Die Lösungen könnten eine Gesetzesänderung, eine Verhaltensänderung oder eine Änderung der Einstellung sein. Unsere Helden sind Aktivisten wie Ghandi, Martin Luther King und die Suffragetten, die alle unsere Welt langfristig brillant verändert haben. Beim Craftivist Collective geht es also nicht um Fundraising, Spenden oder einfach nur Sensibilisierung. Wir verwenden Handwerk (meist Handstickereien und Papierhandwerk) als mächtiges Werkzeug, um langsamen, ruhigen, nachdenklichen und mitfühlenden Aktivismus als Katalysator für langfristige positive Veränderungen in unserer Welt und in uns selbst zu schaffen. Wir glauben, dass Handwerk, wenn es klug gemacht wird, ein mächtiges Instrument der Änderung sein kann, um die Werkzeugkiste des Aktivismus zu erhöhen.

Sarah Corbett, Gründerin von Craftist Collective

Was mache ich nun damit?

  • Zappeln Sie am Ende dieses Artikels schon voll Vorfreude auf ein neues Handarbeitsprojekt, das so viel mehr als ein nettes Hobby sein kann?
  • Haben Sie in handwerklichen Techniken nicht viel Erfahrung, oder schätzen Sie kreativen Austausch (von Ideen, Garn- und Stoffresten, …) in einer Gruppe?
  • Wünschen Sie sich eine Form von Aktivismus, bei der man nicht ausbrennt, sondern Selbstfürsorge pflegt, während man sein Anliegen kundtut?

Auf dem Telegramkanal „Sei kreaktiv!“ können Sie sich einerseits inspirieren lassen und andererseits Ihre Ideen vorstellen und andere damit anstecken. Er bietet auch die Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen und Treffen zu vereinbaren.

Oder Sie schreiben mir einfach: office@praxis-am-see.at

Gerne helfe ich bei der Gruppengründung von der Ideenfindung über Handwerkstechniken, Materialbeschaffung bis zu kunsttherapeutischen Elementen.

Weitere Literatur:

Sabine Planka: Urban Knitting, Yarn Bombing, Guerilla Knitting, in: Aesthetics of Resistance, Pictorial Glossary, The Nomos of Images, ISSN: 2366-9926, 28.10.2015, URL: http://nomoi.hypotheses.org/150. (15.11.23)

Matthias Lohre: „Ein Pulli für den Panzer“, in TAZ, 13.02.2013, online unter: URL: http://www.taz.de/Demonstration-fuer-Frieden-in-Dresden/!5073400/ (15.11.23)

Fast Fashion: Mode, die die Welt kostet

Kleiderschränke und Mülldeponien quellen über, Fast Fashion Läden locken mit Billigangeboten, Modetrends kommen und gehen, schneller als man waschen und bügeln kann.

Fast Fashion

Wie sind wir hierher gekommen? Wir kaufen dreimal so viele Kleidungsstücke wie 1980 und tragen sie nur halb so lange. Unsere Großmütter haben ihre Kleidung repariert, aber heute landen drei von fünf Kleidungsstücken innerhalb des ersten Jahres nach dem Kauf auf der Mülldeponie. Das hat sich innerhalb einer Generation geändert und wird bis 2030 voraussichtlich um 62 Prozent steigen. Mode füllt eine der größten Mülldeponien der Welt. Sie befindet sich in Chile und ist inzwischen aus dem Weltraum sichtbar. Sie besteht größtenteils aus ungenutzter und unverkaufter Kleidung.

Die Massenindustrialisierung und der globale Kapitalismus führten zur Vorstellung, dass wir alles schneller und billiger haben könnten und sollten. Wir haben den Bezug zu unserer Kleidung verloren. Wir wissen oft nicht, woher sie kommt, und es scheint uns nicht zu kümmern. Wenn ich „wir“ sage, meine ich uns alle, die Kleidung tragen, aber auch die Hersteller. Wenn Sie auf das Etikett Ihrer Kleidung schauen, steht dort, wo sie hergestellt wurde, aber es verrät Ihnen nicht, wie sie gesponnen, gewebt, gefärbt und veredelt wurde. Es erzählt Ihnen auch nichts über die 3,4 Milliarden Menschen, die in der Modebranche arbeiten, von denen 70 Prozent weiblich sind, oft unsichtbar und größtenteils kein existenzsicherndes Einkommen erhalten.

Wir sprechen über Gleichberechtigung, Feminismus, Vielfalt und Selbstermächtigung. Wir feiern die Prominenten und Influencer, die unsere Designs tragen, aber wir sprechen nicht über die Frauen, die sie herstellen. Wir behandeln sie genauso wie ein Polyesterkleid, als wären sie wegwerfbar und billig.

Eines Ihrer heute getragenen Kleidungsstücke könnte auf dem Weg zu Ihnen durch fünf verschiedene Länder gereist sein und währenddessen bis zu 20 verschiedene Prozesse durchlaufen haben. Möglicherweise ist Ihr Outfit weiter gereist als Sie selbst.

Das Prinzip der Mode basiert auf dem Kaufen von mehr und dem Konsumieren von mehr. Doch wir kommen nicht umhin, auch ethische Entscheidungen zu treffen. Die Ökonomin Kate Raworth ist der Meinung: „Grenzen entfalten das Potenzial.“ Dem kann ich nur zustimmen.

Man sagt, wir essen jede Woche die Menge einer Kreditkarte an Plastik in Form von Mikroplastikteilchen. Doch am Ende werden wir kein Geld essen können. Die Lösung ist eigentlich einfach. Die grundlegende Idee, alles zu hinterfragen und Verantwortung für seine Handlungen zu übernehmen, ist entscheidend. Und für diejenigen, die nicht bereit sind, nachzudenken und umzudenken, müssen wir ausgleichende Regelungen finden.

Ich dachte nie, dass es revolutionär wäre, Schafe zu halten, ihre Wolle zu waschen, zu kardieren, mit Pflanzen aus meinem Garten zu färben, zu spinnen und zu weben. Mein zweitüriger Kleiderschrank enthält vom Wintermantel bis zum Strohhut alles, was ich für jede Jahreszeit brauche. Manches ist selbstgenäht. Anderes ist Second Hand. Socken stricken ist für mich außerordentlich entspannend. Und neuerdings habe ich kreative japanische Stick- und Flicktechniken wie Boro und Sashiko für mich entdeckt. Und einen Artikel über Sticken als Form von Politischem Aktivismus.

Infolgedessen bin ich auf die Slow-Fashion-Bewegung aufmerksam geworden, als Gegenentwurf zur Fast Fashion.

Statt einer Modeindustrie, die auf Schnelligkeit, Massenkonsum und Ausbeutung basiert, geht es bei der Slow-Fashion-Bewegung um einen achtsamen Umgang mit Kleidung – nach ökologisch nachhaltigen und sozial gerechten Prinzipien.

Dazu gehören:

  • Schonender Umgang mit Ressourcen: langlebige und hochwertige Kleidung produzieren, bestehende Kleidungsstücke so gut zu nutzen, wie möglich.
  • Faire Produktion: Angemessene Entlohnung und gesunde Arbeitsbedingungen
  • Ökologische Landwirtschaft: Rohstoffe für Textilien stammen aus nachhaltiger Landwirtschaft, welche die Umwelt nicht ausbeutet, sondern erhält und bestenfalls regeneriert.
  • Regionalität: Sowohl Anbau wie auch Verarbeitung: Je lokaler, desto besser.
  • Vermeidung schädlicher Chemikalien: zugunsten von natürlichen, gesundheitsschonenden Alternativen.
  • Transparenz: und zwar vom Feld bis zum Laden

Die Vorteile liegen auf der Hand. Aber wie soll man Slow Fashion umsetzen? Hier sind einige Ideen dazu:

  1. Kaufen Sie zeitlose Kleidungsstücke: Investieren Sie in klassische Kleidungsstücke, die nie aus der Mode kommen und vielseitig kombinierbar sind.
  2. Kaufen Sie Second-Hand: Erwerben Sie Kleidung aus Second-Hand-Läden, Flohmärkten oder Online-Plattformen, um bestehenden Kleidungsstücken ein zweites Leben zu geben.
  3. Setzen Sie auf Qualität vor Quantität: Geben Sie lieber mehr Geld für hochwertige Kleidung aus, die länger hält, anstatt häufig billige Kleidung zu kaufen, die schnell verschleißt.
  4. Reparieren und Upcycling: Lernen Sie grundlegende Nähtechniken, um Löcher zu stopfen, Knöpfe anzunähen und Kleidung zu reparieren. Sie können auch Ihre Kreativität einsetzen, um Kleidung aufzuwerten, z.B. durch Nähen, Färben oder Bedrucken.
  5. Praktizieren Sie Minimalismus: Reduzieren Sie Ihre Garderobe auf das Wesentliche.
  6. Unterstützen Sie lokale und ethische Marken: Kaufen Sie bei Marken, die lokale, ethische und nachhaltige Praktiken fördern. Informieren Sie sich über Gütesiegel.
  7. Tauschen und teilen Sie: Organisieren Sie Kleidertausch-Events mit Freunden oder nutzen Sie Plattformen, auf denen Sie Kleidung mieten oder teilen können.
  8. Achten Sie auf nachhaltige Materialien: Achten Sie auf nachhaltige Materialien wie Leinen, Baumwolle, Wolle, Tencel, Hanf oder recycelte Stoffe.
  9. Erwägen Sie selbstgemachte Kleidung: Wenn Sie die Fähigkeiten dazu haben, nähen Sie Ihre eigene Kleidung. Lernen Sie, zumindest einfache Kleidung selbst herzustellen.
  10. Pflegen Sie Ihre Kleidung: Behandeln Sie Ihre Kleidung sorgfältig und schonend, waschen Sie sie bei niedriger Temperatur und vermeiden Sie den Einsatz von Trocknern, da dies die Lebensdauer der Kleidungsstücke verlängert.
  11. Verantwortungsvolles Aussortieren: Wenn Sie Kleidung aussortieren, spenden, verschenken, verkaufen oder recyceln Sie diese, anstatt sie einfach wegzuwerfen.
  12. Achten Sie auf nachhaltige Accessoires: Beachten Sie auch bei Schuhen und Taschen Nachhaltigkeitsaspekte und Qualität.
  13. Informieren Sie sich: Setzen Sie sich über die Auswirkungen der Modeindustrie auf die Umwelt und die Arbeitsbedingungen in der Branche in Kenntnis, um fundierte Kaufentscheidungen zu treffen.

Und vor allem: Wählen Sie Strategien, die Ihnen Freude bereiten. Slow Fashion ist kein Verzicht, sondern Gewinn auf allen Ebenen. Seinen Kleiderschrank nach Outfits zu durchforsten, die wunderschön sind, die man aber wahrscheinlich nie wieder tragen wird, um sie jemandem zu schenken, macht Spass. Kreatives Upcycling ist nicht nur ökologisch, sondern auch künstlerischer Ausdruck und lustvolles Gestalten. Das Reduzieren auf das Wesentliche bedeutet auch eine Reduktion von Stress bei der Auswahl dessen, was man tragen möchte. Und nicht zuletzt: Ein gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen.

Wer nur kurz über den Tellerrand blickt, merkt: Fast Fashion schadet uns selbst und anderen Menschen genauso wie der Umwelt. Die Alternative ist entschleunigte Mode, Wertschätzung gegenüber den Personen, die unsere Kleidung fertigen, und Achtung der Ressourcen von Umwelt und Natur. Denn Kleidung soll uns guttun und unser aller Leben verbessern. Sie darf nicht die Welt kosten.

Lesenswertes und Sehenswertes:

Rebecca Burgess, Courtney White, Leonie De Abrew: Was steckt in unserer Kleidung? Leseprobe.

https://www.youtube.com/watch?v=E56ASC8gd4A

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