Kernkompetenzen für die Kunst des Dialogs

Der Entdeckergeist ist etwas, was die Menschheit seit Anbeginn der Zeit definiert hat. Der Wunsch, die Welt und die Natur der Dinge zu verstehen, hat uns dazu geführt, über den Horizont hinauszublicken, uns in die Tiefen des Meeres zu wagen und die Sterne zu erreichen. Doch nicht nur die äußere Welt will erkundet werden. Denn genauso spannend ist die Entdeckung von uns selbst und unseren Beziehungen zu anderen. Der Königsweg dorthin? Der Dialog.

In einem Dialog geht es nicht nur darum, seine Meinung zu äußern und Argumente zu verteidigen. Es geht darum, sich der anderen Person zu öffnen, ihre Ansichten zu respektieren und ihre Weltsicht zu verstehen. Es bedeutet, aufrichtig zuzuhören und Fragen zu stellen, die aus echtem Interesse und Neugier entspringen. Der Schlüssel zu einem erfolgreichen Dialog liegt in sechs Kernkompetenzen: Entdeckergeist, Respekt, von Herzen sprechen, tiefes Zuhören, Zweifel zulassen und Verlangsamen.

Entdeckergeist: Die Bereitschaft, zu lernen und zu entdecken

Kernkompetenzen Entdeckergeist

Der Entdeckergeist bildet den Ausgangspunkt. Entdeckergeist bedeutet nicht, sich als Experte oder Besserwisser aufzuspielen, sondern mit Offenheit und Neugier die Welt aus neuen Blickwinkeln zu betrachten. Es geht um das ehrliche Streben, unser Verständnis zu vertiefen, indem wir aufrichtige Fragen stellen und uns immer wieder neu einer sich stetig ändernden Wirklichkeit nähern.

Wer das nicht tut, gerät schnell in die Falle der Rechthaberei. Den Sprechenden durch gezielte, inquisitorische Fragen zu verunsichern oder bloßzustellen, hat nichts mit Entdeckergeist zu tun. Anstatt den Oberlehrer zu spielen, gilt es, mit einer achtsamen Haltung sich und dem Gegenüber neue Perspektiven zu eröffnen.

Experiment „Entdeckergeist“:

Machen Sie in den folgenden 7 Tagen jeweils etwas Neues oder etwas Altes auf neue Art. Wählen Sie eine tägliche Routine aus, die Sie meist ohne nachzudenken durchführen – vielleicht ist es Ihr Weg zur Arbeit, Ihre morgendliche Kaffeezubereitung oder die Art und Weise, wie Sie Ihre Pause verbringen.

Betrachten Sie die gewählte Routine durch die Linse des Entdeckergeistes. Stellen Sie sich vor, Sie würden diese Aktivität in einem anderen Land, einem anderen kulturellen Kontext oder sogar zu einer anderen Zeit durchführen. Wie würde sich das auswirken? Was könnten Sie daraus lernen?

Respekt: Anerkennung und Wertschätzung

Kernkompetenzen des Dialogs: Respekt

Ein wesentlicher Bestandteil des Dialogs ist der Respekt. Respekt meint, jemanden in seiner Andersartigkeit als gleichwertig anzuerkennen und seine Weltsicht als ebenso berechtigt zu verstehen wie die eigene. Es bedeutet, ohne Vorurteile und Kritik auf den anderen einzugehen, ihn in seiner Gesamtheit wahrzunehmen und zu schätzen.

Respektlos ist es, die Ansichten eines anderen als Unsinn abzutun, Respekt einzufordern, ohne ihn zu geben, auf einem hohen Ross zu sitzen oder Sturheit zu zeigen.

Experiment „Stille Wertschätzung“

Behandeln Sie in den folgenden 7 Tagen jeweils eine Person in Ihrem Leben mit besonderem Respekt. Beobachten Sie, wie Sie normalerweise jemandem Respekt erweisen. Gibt es Situationen, in denen Sie das Gefühl haben, dass Sie nicht genug Respekt zeigen? Reflektieren Sie ohne Selbstkritik ihr Verhalten.

Wählen Sie jeden Tag eine Person aus, der Sie besonderen Respekt zeigen möchten. Denken Sie einige Minuten in Ruhe über diese Person nach und versuchen Sie, ihre Einzigartigkeit und ihren Wert zu erkennen. Was schätzen Sie an dieser Person? Was haben Sie von ihr gelernt? Was sind ihre Stärken? Halten Sie diese Gedanken in Stille und lassen Sie sie Ihr Verhalten dieser Person gegenüber beeinflussen.

Von Herzen sprechen: Authentizität und Ehrlichkeit

Kernkompetenzen des Dialogs: Von Herzen sprechen

Im Dialog ist es essentiell, von Herzen zu sprechen und nicht nur die eigene Sichtweise darzulegen, sondern auch die Beweggründe und Bewertungen. Es geht darum, authentisch zu sein, von dem zu reden, was uns wirklich bewegt, aus dem Bauch heraus, nicht aus dem Kopf.

Sprechen um des Sprechens willen oder um dem eigenen Ego zu schmeicheln, zu belehren oder aus Angst vor Machtverlust nicht ehrlich zu sein sind hier fehl am Platz.

Experiment „Herz-Tagebuch“

Führen Sie eine Woche lang täglich ein „Herz-Tagebuch“, in dem Sie Ihre innersten Gedanken, Gefühle, Ängste und Hoffnungen festhalten. Versuchen Sie dabei, nicht nur Fakten oder Ereignisse des Tages zu notieren, sondern vor allem Ihre inneren Reaktionen auf diese Ereignisse. Was hat Sie bewegt? Was hat Sie überrascht? Was hat Sie verwirrt oder beunruhigt? Was hat Sie hoffnungsvoll oder glücklich gemacht?

Was sagen diese Einträge über Sie und Ihre Werte, Überzeugungen und Wünsche aus? Gibt es Themen oder Muster, die Sie erkennen?

Wählen Sie einen vertrauenswürdigen Freund, Partner oder ein Familienmitglied aus, dem Sie sich anvertrauen können, und teilen Sie einige Ihrer Einträge oder Erkenntnisse. Versuchen Sie, dabei so authentisch und offen wie möglich zu sein. Es geht dabei nicht darum, Ratschläge oder Feedback zu erhalten, sondern einfach Ihre eigenen Erfahrungen und Gefühle zu teilen.

Wie hat sich das Teilen angefühlt? Fühlten Sie sich erleichtert, verstanden, verwundbar? Haben Sie Neues über sich selbst oder andere gelernt?

Tiefes Zuhören: Aufmerksamkeit und Empathie

Tiefes Zuhören

Tiefes Zuhören ist ein wesentlicher Bestandteil des Dialogs. Es bedeutet, aufmerksam und empathisch zuzuhören, sodass der Sprechende sich selbst entdecken kann und der Zuhörende beobachtet, was währenddessen in ihm vorgeht.

Zeichen mangelnden Zuhörens sind, dazwischenzureden, ins Wort zu fallen oder den anderen zu verunsichern. Wer zuhört, kann nicht schon währenddessen mit dem Formulieren von Argumenten beginnen.

Experiment „Aktives Zuhören“

Führen Sie in den nächsten 7 Tagen täglich mindestens ein Gespräch, bei dem Sie sich auf das aktive Zuhören konzentrieren.

Wenn Sie ein Gespräch beginnen, nehmen Sie sich vor, wirklich zuzuhören, anstatt bereits eine Antwort zu formulieren, während die andere Person noch spricht. Konzentrieren Sie sich darauf, die Gefühle und die Botschaft, die die Person vermitteln möchte, zu verstehen. Beachten Sie nicht nur die Worte, die gesprochen werden, sondern auch die nonverbale Kommunikation wie Körpersprache und Tonfall.

Um sicherzustellen, dass Sie die Botschaft richtig verstanden haben, können Sie das Gehörte in Ihren eigenen Worten zusammenfassen und der Person zur Bestätigung zurückgeben. Das könnte so aussehen: „Wenn ich dich richtig verstanden habe, fühlst du dich … wegen … Ist das korrekt?“.

Wie hat es sich angefühlt, sich wirklich auf das Zuhören zu konzentrieren? Haben Sie das Gefühl, die andere Person besser verstanden zu haben? Wie hat die andere Person auf Ihr aktives Zuhören reagiert?

Wiederholen Sie diesen Prozess in unterschiedlichen Gesprächen und Situationen. Sie könnten zum Beispiel das aktive Zuhören in einem geschäftlichen Meeting, in einem Gespräch mit einem Freund oder in einer Diskussion mit Ihrem Partner ausprobieren.

Zweifel zulassen: Offenheit und Reflexion

Zweifel

Eine weitere zentrale Kunst im Dialog ist es, Zweifel zuzulassen. Dabei achtet man darauf, Annahmen und Bewertungen bewusst zu machen und von Beobachtungen zu unterscheiden.

Die Falle hierbei ist es, sich mit seiner Meinung zu identifizieren, eine starre Position einzunehmen oder Zweifel und Verunsicherung nicht auszuhalten.

Experiment „Infrage stellen“

Stellen Sie in der kommenden Woche täglich mindestens eine Ihrer Überzeugungen oder Annahmen infrage.

Wählen Sie etwas aus, die Sie als wahr betrachten. Es kann etwas sein, das Sie über sich selbst, über andere Menschen, über die Welt im Allgemeinen oder über ein spezielles Thema denken.

Stellen Sie diese Überzeugung infrage. Woher kommt sie? Was sind die Beweise, die Sie dafür haben? Gibt es Gegenbeweise, die Sie ignorieren? Wie fühlt es sich an, zu zweifeln und die Annahmen in der Schwebe zu halten? Könnten Sie diese Überzeugung aufgeben, wenn Sie genug Beweise gegen sie hätten?

War es schwierig, Ihre Überzeugung infrage zu stellen? Haben Sie Neues gelernt? Wie fühlen Sie sich jetzt im Vergleich zu dem Moment, bevor Sie die Übung begonnen haben?

Wiederholen Sie diesen Prozess mit einer anderen Überzeugung oder Annahme. Versuchen Sie, ein breites Spektrum von Themen abzudecken, einschließlich solcher, die Sie als besonders sicher oder unantastbar betrachten.

Das Ziel dieser Übung ist es, die Fähigkeit zu entwickeln, Ihre eigenen Überzeugungen und Annahmen infrage zu stellen und sich mit Unsicherheit und Zweifel wohl zu fühlen. Es geht nicht darum, Ihre Überzeugungen aufzugeben, sondern darum, ein tieferes Verständnis dafür zu entwickeln, warum Sie glauben, was Sie glauben, und offen für die Möglichkeit zu sein, dass Sie sich irren könnten.

Verlangsamen: Innere und Äußere Ruhe

Langsamkeit

Schließlich ist das Verlangsamen ein wichtiges Element des Dialogs. Innere Verlangsamung zulassen, die sich durch die Anwendung der Kernfähigkeiten des Dialogs einstellt. Äußere Verlangsamung akzeptieren, durch Sprechende, die Zeit brauchen, durch ein Redesymbol oder eine Klangschale.

Gelingt der Prozess des Verlangsamens nicht, kann es sein, dass man sich rastlos und getrieben fühlt, sich selbst und dem anderen keine Pause gönnt oder meint, Zeit zu verlieren.

Experiment „Achtsame Momente“

Legen Sie in den nächsten 7 Tagen täglich mindestens zweimal einen achtsamen Moment ein, das bedeutet einen Moment, in dem Sie bewusst das Tempo drosseln und Ihre volle Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt richten.

Wählen Sie zwei Alltagsaktivitäten aus, die Sie normalerweise automatisch oder hastig durchführen, wie zum Beispiel das Zähneputzen, das Trinken einer Tasse Kaffee, Duschen oder Mittagessen.

Wenn Sie diese Aktivitäten durchführen, verlangsamen Sie bewusst Ihre Bewegungen und richten Sie Ihre volle Aufmerksamkeit auf die Erfahrung. Was können Sie sehen, hören, fühlen, riechen, schmecken? Wie fühlt sich Ihr Körper an? Was geschieht in Ihrem Geist?

Wiederholen Sie diese achtsamen Momente jeden Tag und versuchen Sie, die Anzahl der Momente im Laufe der Zeit zu erhöhen oder sie auf neue Aktivitäten auszuweiten.

Das Ziel dieser Übung ist es, Ihnen zu helfen, den Wert der Verlangsamung zu erkennen und zu erfahren, wie Sie durch achtsames Bewusstsein und Präsenz im gegenwärtigen Moment ein tieferes und reichhaltigeres Erleben Ihrer täglichen Aktivitäten erreichen können. Sie können diese Übung jederzeit und überall durchführen, und sie kann Ihnen helfen, Stress abzubauen, Ihre Stimmung zu verbessern und ein tieferes Gefühl von Verbindung und Zufriedenheit zu erleben.

Der Dialog ist eine Kunst, die erlernt und geübt werden muss. Er fordert uns heraus, uns selbst, andere und die Welt um uns herum auf neue und tiefere Weise zu entdecken. Es ist ein Weg, der uns hilft, Brücken zu bauen und tiefere Verbindungen zu schaffen, die uns erlauben, die Komplexität unserer Welt gemeinsam zu bewältigen.

Die obigen Experimente laden dazu ein, die Kernkompetenzen des Dialogs zu erkunden. Wirklich erfahren lässt sich deren Wirkung jedoch nur in einer Gruppe.

Unser „Dialog mit Respekt“ ist eine offene Gruppe, die sich regelmäßig in Lochau trifft, um die vielfältigsten Themen gemeinsam zu erdenken. Wir freuen uns über Gäste, die unsere Werte teilen und helfen auch gerne dabei, Dialoggruppen in anderen Regionen aufzubauen.

Literatur:


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