Dialog mit Respekt: Zweifel

Gut oder böse, schwarz oder weiß, Freund oder Feind: So sehen viele Menschen die Welt. Dass die Dinge oft weniger eindeutig sind, halten sie nur schwer aus – und das macht sie anfällig für Populisten. Doch die Fähigkeit, Mehrdeutigkeit zu akzeptieren, ist auch eine der Kernkompetenzen des Dialogs, und sie lässt sich kultivieren.

Vor mehr als 70 Jahren entdeckte die Psychologin Else Frenkel-Brunswik das Persönlichkeitsmerkmal mit dem etwas sperrigem Namen „Ambiguitätstoleranz“ als die Fähigkeit, Mehrdeutiges zu ertragen. Durch dieses Wissen über Ambiguitätstoleranz lässt sich einiges im Zusammenleben erklären und besser machen, etwa die Herausforderungen, die sich uns stellen bei der Zuwanderung.

Populismus ist eine geniale Strategie, Ambiguität wegzubekommen. Leute, die Salvini oder Le Pen hinterherlaufen, würden heute nicht ihr Leben opfern, wie Anhänger von Hitler und Stalin das taten. Aber sie haben einfache Antworten, und damit etwas sehr Interessantes: Eine Antwort auf die Frage „Wie entkommt man als Bürger dem unangenehmen Gefühl des Zweifelns?“. Einerseits natürlich durch das Folgen einer Führerfigur. Ein anderer Ansatz wäre, gar niemandem mehr Vertrauen zu schenken, um das eigene Weltbild aufrechtzuerhalten. Alle sind korrupt. Alles ist manipuliert. Damit fallen alle Autoritäten weg – außer meiner eigenen, deren Beweggründe nun jedoch zu erforschen wären (wieder eine Kernkompetenz des Dialogs …).

Bei der Zuwanderung haben Populisten ein besonders leichtes Spiel mit Menschen, die Zweifel schwer ertragen können. Ein Feind ist eindeutig auf der anderen Seite, ein Freund auf der meinen. Das Fremde jedoch können wir nicht zuordnen, es trägt beides in sich. Wer das nicht aushalten kann, trifft schnell (Fehl-)Entscheidungen.

Aber würde die totale Mehrdeutigkeit ein besseres Zusammenleben ermöglichen? Die Gefahr von Chaos, Anarchie und Korruption wäre groß. Es muss also ein „rechtes Maß“ geben.

Fragen für den Dialog

  • Wann in meinem Leben habe ich gezweifelt?
  • Wie bin ich damit umgegangen?
  • Habe ich die Möglichkeiten in der Schwebe gehalten oder mich für eine Seite entschieden?
  • Was beeinflusst meine Entscheidungen?
  • Zweifle ich eher zu viel oder zu wenig?

Lektüre zum Einlesen

https://www.beobachter.ch/gesundheit/psychologie/zweifel-wie-uns-diese-gefuhle-furs-leben-helfen-256860

https://www.deutschlandfunkkultur.de/mangel-an-ambiguitaetstoleranz-der-fatale-wunsch-nach-100.html


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