Sommersonnenwende

Erdig kühl ist das weiche Gras unter der alten Linde. Die Zweige hängen tief ob der Last der betörend duftenden Blütentrauben. Unzählige Bienen sammeln eifrig den süßen Nektar des Hochsommers. Sanft wiegen sich die herzförmigen Blätter im lauen Wind. Das Licht der hochstehenden Mittagssonne zaubert ein Potpourri in Grün ins raschelnde Laub.

Lächelnd denke ich an die Biologiestunden der Kindheit über die Bedeutung des Baumes als grünes Kraftwerk und atme tief den vermeintlichen Sauerstoff ein. Ein Bussard gleitet federleicht im Aufwind dahin, zieht seine Kreise, mit scharfem Blick auf das frisch gemähte Feld in der Hoffnung auf sättigende Beute. Ob ihm wohl die geduldig unter dem Zwetschgenbaum lauernde Katze zuvor kommen wird?

Der Horizont verschwimmt zwischen dem Blau des Himmels und dem Ende des Sees. Kinderlachen weht aus der Ferne heran, fröhliche Unbeschwertheit. Die Libellen tanzen über dem Seerosenteich.

Die Gedanken schweifen ab zu den Sommern meiner Kindheit: Planschen auf den Sandsteinfelsen der Bregenzer Ach, der Duft des Heidelbeerkuchens aus dem Backofen, barfuß laufen im Sommerregen.

Aus Erinnerungen werden Erzählungen: Über das sommerliche Leben meiner Großeltern, mit langen Arbeitstagen, um Heu und Getreide einzubringen, wilde Beeren zu sammeln, Vorräte für den Winter anzulegen und – zu feiern.

Der längste Tag und die kürzeste Nacht des Jahres, der Tag der Sommersonnenwende gilt seit jeher als magisch. Die Mittsommernacht wird vielerorts mit Freudenfeuern begangen, die das Böse abwehren, vor Krankheiten schützen und fruchtbaren Segen für die Äcker spenden sollen. Haus und Ställe werden ausgeräuchert, Johanniskraut und andere Heilkräuter zu Sonnwendbuschen gebunden, Festtagskrapfen gebacken. Man nimmt Abstand vom Alltag, feiert die Fülle des Sommers und nährt die Hoffnung.

Weshalb sind diese uralten Rituale auch heute noch präsent? Früher war die Sonne entscheidend für das Leben und Überleben. Die Zeit der Sommersonnenwende war die leichteste Zeit des Jahres, mit ausreichend Licht, Wärme und Nahrung. Zwar sind wir heute in den Industrieländern durch das elektrische Licht weniger abhängig vom Rhythmus der Sonne, doch beeinflusst uns der Wechsel von hell und dunkel mehr als es auf den ersten Blick erkenntlich ist.

Neurobiologische Grundlagen

Der zirkadiane Rhythmus hilft, sich an den Tag-Nacht-Zyklus der Umwelt anzupassen. Macht man sich vom Sonnenlicht unabhängig, wird die innere Uhr gestört, was sich beispielsweise als Jetlag äußert.

Den natürlichen Rhythmus zu stören, birgt zudem gesundheitliche Risiken: beeinträchtigte Muskel- und Knochenfunktionen, erhöhte Entzündungsneigung, schlechtere Schlafqualität, ein höheres Körpergewicht und häufigere Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Psychische Auswirkungen

Der Zusammenhang von Sonne und Wohlbefinden ist uns ganz intuitiv klar: So zieht es uns im Urlaub bevorzugt in den Süden und auch der Alterswohnsitz wird eher dort als im Norden gewählt.

Forscher beobachteten, dass man an sonnigen Tagen die allgemeine Lebenszufriedenheit höher einschätzt. Möglicherweise kommt diese positivere Bewertung durch die bessere Stimmung zustande. Außerdem haben wir die Tendenz, bei guter Stimmung vermehrt positive Dinge wahrzunehmen. Im psychiatrischen Bereich kennen wir die stimmungsaufhellende Wirkung der Lichttherapie bei jahreszeitlich abhängigen affektiven Störungen.

Auswirkungen auf das Verhalten

Neben der Stimmung beeinflusst das Sonnenlicht auch unser Verhalten: Bei Sonnenschein gibt man mehr Trinkgeld. Bei Regen gibt es mehr negative Beiträge in den sozialen Medien. Die Suchanfragen nach sonnigen Urlaubsdomizilen steigt. Kinder im Volksschulalter malen auf fröhliche Bilder oft eine Sonne.

Auch wenn für viele die Sommersonnenwende keine große Bedeutung mehr hat, der Einfluss der Sonne ist immer noch gravierend. Man denke beispielsweise an die unterschiedliche Freizeitgestaltung zwischen Sommer und Winter. Auch die Wirtschaft ist sonnenabhängig: Nicht nur das Kaufverhalten von saisonalen Produkten ändert sich, sondern auch der Aktienkauf scheint wetterabhängig zu sein. Die Gesundheit wird durch den Sonnenmangel beeinflusst, der sich in einer miserablen Versorgung von Vitamin D bei einem Großteil der Bevölkerung und deren Folgeerscheinungen ausdrückt. Durch künstliches Licht und Termindruck leiden viele unter chronischer Übermüdung. Haben Sie am Wochenende das Bedürfnis, endlich ausschlafen zu können? Dann leiden Sie möglicherweise unter der Woche unter Schlafmangel. Womit sich wieder der Kreis zur Wirtschaft schließt, die gesündere, zufriedenere und leistungsfähigere Mitarbeiter hätte, wenn sie bei der Arbeitsgestaltung die Sonnenrhythmen beachten würde.

Alles in allem bietet ein Fest zur Sommersonnenwende die Gelegenheit, ein ganz besonderes Naturereignis zu feiern, sei es um etwas Magie im Alltag zu erleben, aus Glauben oder Aberglauben oder um die sozialen Bande mit Freunden zu stärken.

Literatur:

  • Frey, D.: Psychologie der Rituale und Bräuche. Springer Verlag, München 2018.
  • Riedmann, C.: Sommersonnenwende. BaumRaum, Lustenau 2023. Volltext.

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