Ikigai – das japanische Geheimnis für ein langes, erfülltes Leben

Zwillingsstudien zeigen, dass nur etwa 10 Prozent der durchschnittlichen Lebenszeit eines Menschen Veranlagungssache ist. Die anderen 90 Prozent werden durch unseren Lebensstil bestimmt.

Gibt es eine Formel für ein langes, gutes Leben? Soll man Marathon laufen oder Yoga machen? Soll man Bio-Fleisch essen oder sich doch besser vegan ernähren? Vitamine und Mineralstoffe als Nahrungsergänzung oder lieber nicht? Hormone als Antiaging Medizin? Welchen Stellenwert haben Entspannung und guter Schlaf? Was hat das Bewusstsein damit zu tun? Spiritualität? Soziale Kontakte? Die Umwelt?

Um diese Frage zu beantworten, bietet es sich an, die Blue Zones genauer unter die Lupe zu nehmen, also die Regionen der Erde, in denen die Menschen überdurchschnittlich lange und gesund leben und in denen es besonders viele Hundertjährige gibt. Derzeit sind fünf solcher Regionen als „Blue Zones“ bekannt: Okinawa (Japan), Sardinien (Italien), die Nicoya-Halbinsel (Costa Rica), Ikaria (Griechenland) und Loma Linda (Kalifornien, USA).

Was ist nun der gemeinsame Nenner dieser so unterschiedlichen Kulturen? Was ist es, dass sie alle machen?

Die erste Gemeinsamkeit: keiner von ihnen macht Sport (zumindest nicht in der Weise, wie wir das definieren). Aber ihr Leben ist gefüllt mit körperlicher Aktivität. Die 100-jährigen Frauen auf Okinawa sitzen am Boden und stehen unzählige Male am Tag auf und setzen sich wieder hin. Sarden halten sich mit Treppensteigen fit, sie machen viele tägliche Wege zu Fuß, erledigen ihre Garten- und Hausarbeit (bevorzugt ohne Maschinen) mit Genuss.

Jede dieser Kulturen nimmt sich Zeit, mal einen Gang herunterzuschalten. Manche beten, andere ehren ihre Vorfahren. Viele pflegen ihre Religion oder spirituelle Praxis. Sie ernähren sich eher pflanzenbasiert, mit vielen Hülsenfrüchten und Nüssen und wenig Fleisch. Und sie essen wenig, ohne sich zu überessen. Die Familie steht über allem, man kümmert sich um die Kinder und die alternden Eltern. Und sie umgeben sich bewusst mit den richtigen Leuten.

Aus der Framingham-Studie wissen wir, dass, wenn die drei besten Freunde übergewichtig sind, man selbst mit 50 Prozent größerer Wahrscheinlichkeit Gewichtsprobleme hat. Das heißt, wenn man sich mit ungesund lebenden Menschen umgibt, dann hat das mit der Zeit messbare Auswirkungen. Wenn man körperlich aktive Freunde hat, die gelegentlich ein Schlückchen, aber ansonsten nicht allzu viel Alkohol trinken, vernünftig essen, vertrauenswürdig sind, dann hat das über weite Zeitspannen großen Einfluss auf uns. So gesehen, sind Freunde ein Abenteuer und vielleicht das Wichtigste, was man unternehmen kann, um dem Leben mehr Jahre zu schenken und diesen Jahren mehr Leben zu verleihen.

Der letzte Punkt, der ein langes, gesundes Leben fördert, ist zu wissen, warum man morgens aufsteht. Manche suchen diesen Sinn ein Leben lang und diese Suche ist es definitiv wert. Eine ganz besondere Methode, dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen, möchte ich etwas eingehender beschreiben.

Ikigai ist ein traditionelles japanisches Konzept, das seinen Ursprung auf der japanischen Insel Okinawa hat. Der Begriff setzt sich aus zwei Wörtern zusammen: „iki“, was so viel wie „Leben“ oder „Lebensweg“ bedeutet, und „gai“, was „Wert“ oder „Nutzen“ bedeutet. Es ist also der „Wert des Lebens“ oder der „Sinn des Lebens“.

Ikigai - Das Konzept

Das Konzept des Ikigai basiert auf der Idee, dass jeder Mensch eine einzigartige Kombination von Leidenschaften, Talenten und Lebenszielen hat. Es ist die Schnittmenge zwischen vier verschiedenen Aspekten:

Leidenschaft (What you love)

Dinge, die uns Freude bereiten, die uns begeistern und die uns mit Energie erfüllen.

Talent (What you are good at)

Unsere natürlichen Fähigkeiten, Talente und Stärken, die uns einzigartig machen.

Notwendigkeit (What the world needs)

Die Bedürfnisse der Gesellschaft oder der Welt, zu denen wir einen positiven Beitrag leisten können.

Bezahlung (What you can be paid for)

Die Möglichkeit, unsere Talente und Leidenschaften beruflich oder finanziell zu nutzen.

Erfüllung und Zufriedenheit im Leben entstehen, wenn diese vier Aspekte in Balance sind und sich gegenseitig ergänzen.

Die Gesundheit, Langlebigkeit und Zufriedenheit, für die die Menschen auf Okinawa bekannt sind, werden oft auf ihr starkes Gefühl von Ikigai zurückgeführt – ihre Verbindung zu einem tieferen Lebenssinn und der Sinnhaftigkeit in allem, was sie tun.

Ikigai hat sich in den letzten Jahren auch außerhalb Japans immer größerer Beliebtheit erfreut und wird als Konzept zur Selbstfindung, Lebensführung und Karriereplanung angewendet. Es ermutigt die Menschen, ihre Leidenschaften zu entdecken, ihre Talente zu nutzen, die Welt zu bereichern und dabei auch finanziell belohnt zu werden. Das Streben nach Ikigai kann helfen, ein erfülltes und glückliches Leben zu führen, indem es uns mit einem tieferen Zweck verbindet.

Folgende Übungen sollen dazu inspirieren, seinem Ikigai näherzukommen.

Übungen Ikigai

Journaling und Selbstreflexion

Beginnen Sie ein Journal, um Ihre Gedanken und Gefühle bezüglich Ihrer Leidenschaften und Talente aufzuzeichnen. Fragen Sie sich selbst, was Sie wirklich glücklich macht und wofür Sie eine Leidenschaft haben. Reflektieren Sie auch über Ihre Fähigkeiten, Talente und Stärken. Schreiben Sie auf, was Sie gerne tun und wofür Sie oft Komplimente oder Anerkennung erhalten.

Mind Mapping

Erstellen Sie eine Mind Map oder eine Grafik, um Ihre Interessen, Fähigkeiten und Ziele visuell darzustellen. Verbinden Sie die verschiedenen Elemente, um mögliche Schnittmengen und Verbindungen zu erkennen. Dies kann Ihnen helfen, ein klareres Bild von Ihrem Ikigai zu bekommen.

Gespräche mit anderen Menschen

Sprechen Sie mit Freunden, Familie oder Kollegen über das Konzept von Ikigai und ermutigen Sie sie, ihre Gedanken und Perspektiven zu teilen. Oft können andere Menschen neue Einsichten und Ideen liefern, die Ihnen dabei helfen, Ihre eigenen Leidenschaften und Talente besser zu verstehen. Der Dialog ist besonders gut dazu geeignet, solche Gespräche zu führen.

Flow-Erfahrungen suchen

Suchen Sie nach Tätigkeiten oder Projekten, bei denen Sie so sehr aufgehen, dass Sie die Zeit vergessen und ein Gefühl von Flow erleben. Flow ist ein Zustand tiefer Konzentration und Erfüllung, der oft mit den Aktivitäten verbunden ist, die mit Ihrem Ikigai in Verbindung stehen.

Neues ausprobieren

Seien Sie offen für neue Erfahrungen und probieren Sie verschiedene Aktivitäten oder Hobbys aus, die Sie interessieren könnten. Manchmal entdecken wir unsere Leidenschaften, indem wir uns neuen Herausforderungen stellen und etwas anders oder etwas anderes machen. Inspirationen dazu finden Sie zum Beispiel hier.

Stärken und Schwächen analysieren

Machen Sie eine Liste Ihrer Stärken und Schwächen, um Ihre Talente besser zu verstehen. Überlegen Sie, wie Sie Ihre Stärken nutzen können, um anderen zu helfen oder die Welt auf irgendeine Weise zu verbessern.

Lebensziele und -werte definieren

Identifizieren Sie Ihre Lebensziele und -werte. Fragen Sie sich, welche Werte Ihnen wichtig sind und wie diese mit Ihren Leidenschaften und Talenten in Verbindung stehen. Dies kann Ihnen dabei helfen, Ihr Ikigai besser zu definieren.

Aktionsplan entwickeln

Sobald Sie eine Idee von Ihrem Ikigai haben, entwickeln Sie einen Aktionsplan, um dieses Ziel zu erreichen. Setzen Sie sich realistische Ziele und Schritte, um Ihre Leidenschaften und Talente in die Tat umzusetzen und einen sinnvollen Weg in Richtung Erfüllung zu gehen.

Diese Übungen können Ihnen dabei helfen, Ihrem Ikigai näherzukommen und einen tieferen Sinn und Zweck in Ihrem Leben zu entdecken. Denken Sie daran, dass dies eine Reise der Selbstentdeckung ist und es wichtig ist, geduldig mit sich selbst zu sein und die Erkundung Ihres Ikigai als kontinuierlichen Prozess zu betrachten.

Sie sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr? Dann buchen Sie einen Termin für Ihr Erstgespräch. Wir finden gemeinsam mit Ihnen den Weg zu Ihrem besten Leben. Ganz individuell oder auch in einer Gruppe von Menschen, mit denen man ein Stück des Lebensweges gehen will.

Es ist nicht genug zu wissen, man muss auch anwenden;
 es ist nicht genug zu wollen, man muss auch tun.

Johann Wolfgang von Goethe

Oder um es mit den Worten des ebenfalls fast 100-jährigen Thích Nhất Hạnh auszudrücken: Was nützt es zu wissen, wenn man nicht handelt?

Lesens- und Sehenswertes:

Buettner, D., Skemp, S., Blue Zones: Lessons From the World’s Longest Lived. Am J Lifestyle Med, 2016. 10(5): p. 318-321.