
Der Mensch ist ein soziales Wesen, und das Zusammenleben in Gemeinschaften erfordert oft eine gewisse Form von Ordnung und Regeln. In dieser Hinsicht spielt Gehorsam eine bedeutende Rolle, da er die Grundlage für die Funktionsweise von Familien, Organisationen und Gesellschaften bildet. Doch wie viel Gehorsam ist zu viel? Kann ein übermäßiger Gehorsam zu Unterdrückung und Verlust der eigenen Identität führen?
Der Psychoanalytiker Arno Gruen beschäftigte sich intensiv mit diesen Fragen und veröffentlichte das Buch „Wider den Gehorsam“. In diesem Werk geht es nicht darum, jeglichen Gehorsam als negativ zu betrachten, sondern vielmehr um eine kritische Auseinandersetzung mit der Art des Gehorsams, die Menschen dazu bringen kann, ihre eigenen moralischen Werte und menschlichen Bedürfnisse zu opfern.
Gruen argumentiert, dass der Ursprung des Gehorsams oft in der Kindheit zu finden ist. In der Erziehung und im familiären Umfeld werden Kinder oft dazu erzogen, Autoritäten bedingungslos zu folgen. Dies kann dazu führen, dass sie später im Leben Schwierigkeiten haben, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen und ihre eigenen Überzeugungen zu vertreten. Wenn Gehorsam blind und bedingungslos wird, besteht die Gefahr, dass Menschen ihre eigene Verantwortung abgeben und autoritären Strukturen, sei es in der Familie, in politischen Systemen oder in Institutionen, die Macht überlassen.
Eine der zentralen Botschaften von „Wider den Gehorsam“ ist, dass die Entwicklung von individueller Freiheit und Verantwortung entscheidend für eine gesunde Gesellschaft ist. Gruen betont die Bedeutung, sich selbst zu hinterfragen, kritisch zu denken und eigene moralische Werte zu entwickeln, die nicht blinden Gehorsam erfordern. Es geht darum, ein Bewusstsein für die eigenen Bedürfnisse und Gefühle zu schaffen und die Fähigkeit zu entwickeln, sich selbst und anderen mit Mitgefühl und Verständnis zu begegnen.
Der Weg zu mehr individueller Freiheit und Verantwortung erfordert oft Mut und Selbstreflexion. Es kann bedeuten, sich gegenüber Autoritäten zu behaupten oder gegen den Strom zu schwimmen. Doch dieser Prozess ermöglicht es auch, eine tiefere Verbindung zu sich selbst und zu anderen herzustellen. Indem Menschen ihre eigene Verantwortung übernehmen und sich für ihre Werte und Überzeugungen einsetzen, können sie eine Gesellschaft mitgestalten, die auf Respekt, Freiheit und Empathie basiert.
„Wider den Gehorsam“ ist ein Aufruf zur Selbstbefreiung und zur Entwicklung eines tieferen Verständnisses der menschlichen Natur. Es ist ein Plädoyer für die Wichtigkeit, unsere eigenen Denkmuster zu hinterfragen und eine Kultur zu schaffen, die die Vielfalt der individuellen Persönlichkeiten und Meinungen schätzt. Indem wir uns von übermäßigem Gehorsam lösen und unsere individuelle Verantwortung anerkennen, können wir eine Gesellschaft aufbauen, die auf gegenseitigem Respekt und Mitgefühl beruht und in der jeder Einzelne sein volles Potenzial entfalten kann.
Lesenswertes:
Gruen, Arno: Wider den Gehorsam. Klett-Cotta. Stuttgart, 2014.
Leseprobe: https://docplayer.org/51046750-Arno-gruen-wider-den-gehorsam-2.html
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